Auszüge aus den Kap. 1.2, 2.1 und 2.2 des Buches
Eine Wahrnehmung ist jeweils derjenige Wahrnehmungsgegenstand, der unmittelbar in unserer Sinneswahrnehmung vorliegt, d.h. in den oder mit den uns zur Verfügung stehenden Sinnen. – Hinweis: Mit Gegenstand ist hier also kein materieller Gegenstand im gewöhnlichen Wortsinn gemeint.
Eine Wahrnehmung ist jeweils derjenige Wahrnehmungsgegenstand, wie er in unserem wahrnehmenden Bewusstsein vorliegt, d.h. in der Weise, wie ihn uns die Sinne unmittelbar zeigen oder liefern; z.B. das Geräusch so, wie wir es hören, oder das Bild, das wir vor Augen haben, so, wie es unser Sehsinn uns vermittelt,
- und zwar jeweils so, wie wir das Geräusch hören und das Bild sehen, bevor wir überhaupt darüber nach(!)-denken können,
- in erster Linie natürlich in der alltäglichen Realität, aber auch in Traumbildern und in imaginativ vorgestellten Bildern („Tagträume“).
Wenn soeben von Wahrnehmungsgegenstand die Rede war, so bedeutet das allerdings, dass damit bereits etwas Konkretes gemeint ist. Doch um zu verstehen, wie es dazu kommt, muss man das Wahrnehmungsgeschehen noch etwas genauer betrachten bzw. früher ansetzen. Denn um einen bestimmten Wahrnehmungsgegenstand aus der Fülle von (zunächst immer unsortierten) Sinnesreizen wahrzunehmen, geschieht ein jeweils wichtiges Bewusstseinsereignis, nämlich der Moment, dass man etwas ganz Bestimmtes bewusst als existierend erlebt und erfährt. Ein Wahrnehmungsgegenstand ist also ein konkretes bewusstes sinnliches Objekt unserer Wahrnehmungsfähigkeit; und damit gleichbedeutend ist der geläufigere Ausdruck Phänomen.
Fazit: In einem jeweils ganz konkreten Bewusstseinsereignis wird also etwas Existierendes bewusst als DA-seiend bemerkt und in Gestalt der aktuellen Wahrnehmung als Phänomen erfasst. – Philosophisch gesprochen ist dies dann eine perzeptive Entität.
Dass dieser Moment bzw. dieses Ereignis tatsächlich geschieht, das lässt sich exemplarisch an kleinen Kindern beobachten: Man kann sehen und miterleben, wie sie etwas für sie Neues und bisher Unbekanntes mit großen Augen und gespannter Aufmerksamkeit fokussieren und verfolgen, dann “Ta!” rufen und oft auch noch mit dem Finger hinzeigen. – Gewöhnlich sagen wir Erwachsene ihnen dann den zugehörigen Namen und erklären noch etwas dazu, was die Sache erläutern soll, um dem Kind ein anfängliches Verständnis zu geben; nun, so hoffen oder beabsichtigen wir es jedenfalls.
Unsere Wahrnehmungsfähigkeit, wenn sie sich konkretisiert, bezieht sich also immer auf Phänomene. Wahrgenommene Phänomene sind z.B. Dinge, Naturerscheinungen, Lebewesen, Gefühle (die wir erleben), Tätigkeiten (die wir sehen), Geräusche, Worte (die wir hören), Lebenssituationen, Entwicklungen, konkrete Probleme, usw.
Als sehr wichtig für ein grundlegendes Verständnis der Erkenntnisfähigkeit gilt es hier nun allerdings zu beachten: Phänomen im engeren Sinne ist das, was wir mittels der Sinnesorgane unmittelbar wahrnehmen können, oder genauer formuliert das, was mittels der Sinnesorgane unmittelbar unserer Wahrnehmungsfähigkeit gegeben ist, also z.B., wie auch oben schon gesagt, Geräusche so, wie man sie hört, oder das Bild oder Elemente eines Bildes so, wie man es bzw. sie vor Augen hat.
Sobald man ein Phänomen genauer anschaut, sich dafür interessiert oder es erforscht, so wird man mehr darüber erfahren können, Einzelheiten kennenlernen, Zusammenhänge finden, usw. Auf diese Weise erweitert sich (unter Mitwirkung des Denkens) unsere Erfahrung mit dem Phänomen und wir lernen es immer besser kennen. Der Umfang unserer Wahrnehmung entwickelt sich dabei in einem Prozess: unsere Wahrnehmung des Phänomens kann vielfältiger, differenzierter und vollständiger werden.
Phänomen ist immer das, was man persönlich wahrnehmen kann an bzw. von einer Sache, einer Situation, usw. – und zwar alles, was im direkten Zusammenhang damit steht.
Übung zur reinen Wahrnehmung
Im Buch wird an einzelnen Stellen von der reinen Wahrnehmung gesprochen; im Folgenden die Möglichkeit zu einer Selbsterfahrung, was das eigentlich konkret ist bzw. bedeutet – und dass es eine solche tatsächlich gibt:
Wenn Sie gerade etwas Ruhe und Zeit haben, egal in welcher Situation Sie gerade sind, aber bitte im Stehen oder Sitzen, dann spüren Sie doch gerade mal, wie sich Ihre Füße anfühlen (also z.B. warm oder kalt oder gerade angenehm) und wie sie den Boden berühren — Und nun bitte noch etwas genauer: Spüren Sie hin und nehmen Sie wahr, wie Ihre rechte (oder linke) Fußsohle im Kontakt mit dem Boden oder der Schuhsohle ist — Und bleiben Sie bitte mal etwas dabei, dies und nur dies zu spüren, d.h. dies eine Weile lang direkt und konkret wahrzunehmen —
Erläuterung und Diskussion: Manchen Menschen fällt das schwer; meist kann dann etwas Bewegung des Fußes oder auch eine kleine improvisierte mehr oder weniger kräftige Massage der Fußsohle helfen, um sie (besser) zu spüren. Gegebenenfalls lernen Sie zunächst bitte bewusst zu unterscheiden, ob Sie Ihre Fußsohle wirklich spüren, oder ob Sie sich das lediglich vorstellen, wie es wäre wenn… Und vor allem auch: Es geht darum, Ihre Fußsohle zu spüren, ohne darüber nachzudenken! Wenn Sie nun glauben oder meinen „Ich denke mir doch meine Fußsohle nur“, so ist das nicht der Fall; das ist nicht wahr, das ist faktisch nicht möglich, es ist eine falsche Überzeugung bzw. nur eine falsche Formulierung; denn man kann sich seine Fußsohle nicht denken. Man kann sich aber z.B. in verschiedenster Weise Vorstellungen von (s)einem Fuß machen, z.B. dass er da irgendwo sein muss, auch wenn man ihn nicht spürt, oder wie er von unten aussehen könnte; oder z.B. kann eine bildhafte Vorstellung aufkommen, wie das von der Seite aussehen könnte, wenn Ihre Fußsohle auf dem Boden oder auf Ihrer Schuhsohle aufliegt. Doch in diesen Fällen ist man natürlich nicht beim Spüren, Wahrnehmen und Tasten mit der Fußsohle. Allerdings kann es auch sein, dass Sie über Ihre Füße und Fußsohlen nachdenken; das ist natürlich möglich, und zwar in vielfältigster Weise. Gedanken aller Art kommen in der Regel sehr schnell bzw. automatisch und auch ungewollt auf; wir sind gewohnheitsmäßig viel und schnell im Denken, sobald wir etwas wahrgenommen haben. Wenn bei Ihnen Gedanken da sind bzw. aufkommen, so können Sie das bemerken, früher oder später, manchmal erst nach längeren Gedankenausflügen; sie werden aber verschwinden, sobald Sie wieder bewusst zu den Füßen hin spüren.
Also bitte versuchen Sie nun wieder, die eine Ihrer Fußsohlen einfach und direkt und unmittelbar zu spüren; d.h.: Nehmen Sie mit Ihrem Tastsinn an den Fußsohlen den Boden wahr, und bleiben Sie eine Weile dabei. — Nun das Entscheidende: Sie können sich während dieser stetigen Wahrnehmung innerlich bewusst sein: Ja, ich nehme jetzt das wahr, was ich spüren kann, wenn meine Fußsohle den Boden berührt. — Und ich kann mir dabei sogar gleichzeitig noch bewusst und gewiss sein, dass ich das jetzt wahrnehme. —
Das ist die reine Wahrnehmung (dessen, was hier vorgeschlagen wurde) im Hier und Jetzt.
Und wenn Sie sich nun fragen: Was ist denn die reine Wahrnehmung meines Seh-sinnes von einem Gegenstand – und zwar ursprünglich vor allem Wissen, Begriffsbildung und Vorstellungen von ihm, dann malen Sie ihn! – mit z.B. Aquarellfarben oder farbigen Stiften. (Denn eine Zeichnung nur mit Linien wäre schon eine Abstraktion dessen, was wir tatsächlich sehen.) Auf diese Weise werden Sie erfahren und erkennen können, dass die reine Wahrnehmung des Seh-sinnes ausschließlich aus farbigen Flächen in je bestimmter Anordnung besteht.