Die Schlüsselbegriffe des Buches

Die beiden Grundfähigkeiten, die uns als Basis zur Erkenntnisgewinnung immer zur Verfüg­ung stehen, sind:

a) unsere Wahrnehmungsfähigkeit mit allen unseren Sinnesorganen, und

b) unsere Denkfähigkeit (inklusive Gedächtnis).

Sie sind die notwendigen und hinreichenden Grundfähigkeiten für die Erkenntnisbildung.

(Dies ist ein Auszug aus Abschnitt 1.2 der Einleitung des Buches, der auch eine Art Überblick zum ganzen Buch bietet)

Unsere Wahrnehmungsfähigkeit bezieht sich immer auf Phänomene. Das sind mittels unserer Sinne wahrgenommene Phänomene wie z. B. Dinge, Naturerscheinungen, Lebewesen, Gefühle (die wir erleben), Tätigkeiten (die wir sehen), Geräusche, Aussagen (die wir hören), Lebenssituationen, Entwicklungen, Probleme usw.

Wichtig ist dabei allerdings: Phänomen im engeren Sinne ist das, was wir mittels der Sinnes­organe unmittelbar wahrnehmen können, oder genauer formuliert das, was mittels der Sinnes­organe unmittelbar unserer Wahrnehmungsfähigkeit gegeben ist, also z.B. Geräusche, so wie man sie hört, oder durch unseren Sehsinn das jeweilige Wahrnehmungsbild oder Teile bzw. Elemente davon, so wie man es bzw. sie vor Augen hat.

Dabei geschieht ein wichtiges Bewusstseinsereignis, nämlich der Moment, dass man ein Phänomen als existierend erlebt und erfährt: Etwas Existierendes wird nun bewusst als DA-seiend erlebt und in Gestalt der aktuellen Wahrnehmung als Phänomen erfahren. Philosophisch gesprochen ist dies dann eine ”perzeptive Entität”. Dass dieser Moment bzw. dieses Ereignis tatsächlich geschieht, das lässt sich exemplarisch an kleinen Kindern beobachten: Man kann sehen und miterleben, wie sie etwas für sie Neues und bisher Unbekanntes mit großen Augen und gespannter Aufmerksamkeit fokussieren und verfolgen, dann “Ta!” rufen und oft auch noch mit dem Finger hinzeigen z.B. bei der erstmals ganz bewussten und erstaunten Wahrnehmung eines fliegenden weißen Schmetterlings. Gewöhnlich sagen wir Erwachsene ihnen dann den zugehörigen Namen und erklären noch etwas dazu, was die Sache erläutern soll, um dem Kind ein anfängliches Verständnis zu geben –  nun, so hoffen oder beabsichtigen wir es jedenfalls; aber die Wahrnehmung-selbst des Kindes ist natürlich viel umfang- und erlebnisreicher und differenzierter, als alle unsere Erklärungsversuche mit dürren Worten zu sagen vermögen.

Sobald man ein Phänomen genauer anschaut und erforscht, so wird man mehr darüber erfahren, Einzelheiten kennenlernen, Zusammenhänge finden, usw.  Auf diese Weise erweitert sich (unter Mitwirkung des Denkens, s.u.) unsere Erfahrung mit dem Phänomen und wir lernen es immer besser kennen. Der Umfang unserer Wahrnehmung entwickelt sich also in einem Prozess: unsere Wahrnehmung des Phänomens kann vielfältiger und vollständiger werden.

Phänomen ist immer das, was man persönlich wahrnehmen kann an bzw. von einer Sache, einer Situation, usw. – und zwar alles, was im direkten Zusammenhang damit steht.

Die einfachste Form der uns Menschen möglichen Erkenntnisfähigkeit scheint zunächst zu sein, den wahrgenommenen Erscheinungen oder Phänomenen Namen zu geben und sie miteinander in Beziehung zu setzen. Denn so beginnen ja kleine Kinder zu lernen, anfangs natürlich an einfachen Dingen. Würde man aber bei der Vorstellung von Erkenntnis stehenbleiben, dass den Dingen und Phänomenen einfach nur Namen gegeben werden, dann würde man in einer Art von „Nominalismus“ stecken bleiben, denn:

Ein Name oder ein Wort zu einem Phänomen ist noch kein Verständnis bzw. kein Begriff von einem Phänomen.

Worte und Namen können schon eine lange Geschichte haben und auch mit schwer­wiegenden Bedeutungen ‚aufgeladen‘ sein; aber Worte für sich gesehen sind nur “Schall-und-Rauch“ – wie man das bei Worten, die einem unbekannt sind, feststellen kann, insbesondere bei Worten aus einer uns nicht geläufigen Sprache. ‚Hinter‘ Worten aber stehen jeweils Bedeutungen bzw. Begriffe, nämlich das, was jeweils mit den Worten gemeint ist.

Worte, Namen, Zeichen oder sonstige Symbole sind jeweils Bezeichnungen(!) für(!) etwas. Ein Wort, ein Name, ein Zeichen (z.B. ein Verkehrszeichen und der entsprechende Name dazu) nützt uns allerdings gar nichts, wenn wir nicht wissen, was damit gemeint ist.

Unser Wissen bzw. unsere innere Vorstellung, was mit einem Wort oder Zeichen eigentlich gemeint ist, das genau ist unser Begriff von der Sache, die mit dem Wort oder dem Zeichen gemeint ist.  –  Diese Thematik wird im Buch sehr genau in Kap. 3.4 behandelt.

Bereits unseren Kleinkindern, die ja noch gar nicht sprechen können, bieten wir jeweils zu dem, was sie wahrnehmen können, bestimmte Namen bzw. Worte an, die in unserer Sprache gebräuchlich sind – Worte, die sie als bestimmte und unterscheidbare Laute hören. Diese Laute sind für ein Kleinkind also zunächst auch nur Wahrnehmungen!

In der Folge läuft im Bewusstsein des Kindes ein Prozess ab, der alle Wahrnehmungen (einschließlich der Wortlaute, die es hört) versucht zu koordinieren, nämlich in Verhältnisse und Zusammenhänge zu bringen. Und genau das macht unser Denken, unsere zweite Grundfähigkeit zur Bildung von Erkenntnis, und zwar ständig und ganz automatisch:

Das Denken versucht, die wahrgenommenen Sinneseindrücke bzw. wahrgenommenen Phänomene in ihren Verhältnissen, Zuordnungen und Zusammenhängen zu erfassen. – Das ist die Grundfunktion von Denkfähigkeit. Die jeweils neurologische Entsprechung zu gefund­enen Zusammenhängen sind sogenannte “Engramme“, die ständig im Gehirn gebildet und vernetzt werden.

Denken ist bei uns Menschen in unserem Großhirn mit einem hohen Potential angelegt. Allerdings gibt es die Fähigkeit, z.B. Geräusche und Laute mit bestimmten Gegenständen und Ereignissen in Verbindung zu bringen, auch schon bei den höher entwickelten Tierarten, wie man empirisch z.B. von Rattenversuchen weiß: Wenn hier ein ganz bestimmtes Klingel­zeichen, dann da gutes Fressen. Das Denken bzw. – wenn man bei Tieren davon nicht sprechen will –  die zerebralen neurophysiologischen Prozesse im vorsprachlichen Bewusstsein der Tiere haben also z.B. auch eine Wenn-dann-Logik, im Prinzip anscheinend vergleichbar wie bei uns Menschen. – Dies müsste also von der Hirnforschung auch bestätigt werden können.

Durch das Denken stellt sich Erfahrung gleichsam in Form von Aha-Erlebnissen ein, und zwar einerseits in Form von gesichert-gefundenen Zuordnungen von Wortlauten zu Phänomenen und Gegenständen, andererseits auch in Form von entdeckten bzw. verstandenen Zusammen­hängen von Phänomenen und Gegenständen untereinander.

Durch den Umgang des Denkens mit wahrgenommenen Phänomenen entsteht also aus zunächst rein sinnlichen Wahrnehmungseindrücken – einschließlich der gegebenen Wortlaute bzw. Namen zu bestimmten Wahrnehmungseindrücken – ein Erfahrungsbewusstsein von Zusammenhängen dieser Phänomene. Darauf aufbauend entsteht allmählich auch ein Bewusstsein von Gegenständen und dann auch Bewusstsein von Zusammenhängen von Gegenständen mit anderen sinnlichen Wahrnehmungseindrücken.

Erfahrungsbewusstsein und basal-einfache Erkenntnis ist das Ergebnis des erfolgreichen Gelingens der (ständig automatisch stattfindenden) Ver­suche des Denkens, die wahrgenommenen Phänomene in ihren tat­sächlich bestehenden Verhältnissen zu erfassen, d.h., sie in ihren wirklichkeitsgemäßen und logischen Zusammenhängen zu erfassen.

Diese Möglichkeit bzw. Fähigkeit eines Erfahrungsbewusstseins, aufbauend auf den zwei Grundfähigkeiten Wahrnehmen und Denken, haben wir im Prinzip mit der Tierwelt gemeinsam und von ihr sozusagen geerbt. Darüber hinaus ist uns Menschen eine gesteigerte Erkenntnisfähigkeit durch Begriffsbildungs-Prozesse möglich, die wiederum auf den Grund­fähigkeiten Wahrnehmen und Denken aufbauen.

Von Kleinkindzeiten an ist unser menschliches Lernen und Gewinnen von Erfahrung ein immer wieder neuer, individueller und offener Prozess, in dem wir auf Basis unserer Sinnesorgane Erfahrungen machen, die sich uns körperlich, gefühlsmäßig und auch im Gedächtnis einprägen. Ab einem gewissen Zeitpunkt lernen Kinder dann zunehmend konkret und bewusst auch mit Worten.

Worte für sich sind allerdings – wie zuvor schon gesagt – nur “Schall-und-Rauch“. Hinter Worten stehen aber jeweils Bedeutungen bzw. Begriffe, nämlich das, was jeweils mit den Worten gemeint ist: ‚hinter‘ den Worten, die wir Menschen als Symbol bzw. Name für die Phänomene benutzen, befinden sich in unserem Bewusstsein immer unsere jeweils persönlichen Begriffe von den Phänomenen, d.h. also immer unser jeweiliges persönliches und aktuelles Verständnis von dem Phänomen, das wir mit einem Wort bezeichnen und meinen.

Begriffsbildung ist die Kernthematik der Erkenntnisphilosophie. Dieses Wort ist aber nicht unproblematisch. Denn Menschen, die sich noch nicht viel mit Philosophie beschäftigt haben, wissen wahrscheinlich nicht, was damit genau gemeint ist. Und philosophisch Vorgebildete haben in der Regel ihre jeweils eigene Interpretation dieses Wortes. Daher hier zunächst die folgende wichtige Klarstellung, damit keine Missverständnisse auftreten:

Begriffe sind im Grunde nicht schon gleichbedeutend mit bereits festgelegten, vereinbarten, „definierten“ oder wissenschaftlichen (Fach-) Begriffen. Vielmehr gilt folgendes:

Der Begriff in seinem ursprünglichen und zuallererst allgemeinen Sinne ist unser jeweils persönliches Verständnis von einer Sache bzw. einem Phänomen, nämlich unser persönliches Verständnis so oder soweit, wie wir die Sache bzw. das Phänomen persönlich erfahren, aufgenommen, verstanden und – eben – begriffen haben.

Dies einfacher und kürzer ausgedrückt:

Der Begriff ist mein jeweils per­sönliches Verständnis oder auch meine persönliche Vorstellung von der Sache, die mit dem entsprechenden Wort gemeint ist und bezeichnet wird.

Eine philosophisch genaue Formulierung dieses persönlichen Verständnisses lautet z.B. so: Mein Begriff von … (der-und-der Sache) ist … (so-und-so).

Um nun noch den immer individuellen und subjektiven Prozesscharakter der Begriffsbildung und Erkenntnisgewinnung in diese Formulierung hineinzubringen:

Mein persönlicher Begriff von … (der-und-der Sache) ist bisher … (so-und-so).

Erkenntnisphilosophisch betrachtet ist ein großer Anteil unseres Lernens stets eine indi­viduelle persönliche Begriffsbildung zu den Dingen und Phänomenen der Welt, die uns begegnen und interessieren. Bei Kleinkindern – wie schon gesagt – setzt dieser Prozess bereits ein, bevor sie Worte für ihre Erfahrungen haben. Dabei bildet sich ein bereits vorsprachliches Erfahr­ungsbewusstsein, das wir im Prinzip auch vergleichbar mit der Tierwelt haben und das die Vorstufe für unsere menschliche Fähigkeit zu bewusster Begriffsbildung ist.

In unseren persönlichen Begriffen zu bzw. von den Phänomenen und Dingen speichern wir – ‚hinter‘ unseren entsprechenden Worten – unsere zunehmende Erfahrung und unser Verständnis aus dem Umgang mit den Dingen und Phänomenen.

Im Zuge unseres Lernens sind unsere persönlichen Begriffe, d.h. unser jeweiliges subjektives persönliches Verständnis der Dinge und Phänomene dieser Welt, zunächst meistens nur mehr oder weniger zutreffend und vollständig. D.h., wir haben in der Regel zunächst nur mehr oder weniger zutreffende Vorstellungen von der Sache-selbst, um die es uns geht und von der wir Erkenntnis gewinnen wollen: wir haben unsere subjektiven (Sinnes-) Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erlebnisse, unsere Informationen dazu, unsere eigenen Ansichten, Meinungen und Schlussfolgerungen; und vielleicht sind auch fragwürdige Überzeugungen, Vermutungen und Vorurteile dabei. Wir müssen also feststellen, dass wir zunächst immer nur ein relatives Begriffsverständnis haben, aber noch nicht ein wirklichkeits- oder wahrheitsgemäßes begriffliches Verständnis von der Sache-selbst.

Die wirklichkeitsgemäße Qualität von Begriffen ist die Kernthematik dieser Arbeit und – wie sich herausstellen wird – der Kern der Lösung der Wahrheitsfrage.

Der Hauptteil dieses Buches wird sich den Inhalten dieses einführenden Abschnitts genauer widmen: Kap. 2 wird sich mit der Thematik der Wahrnehmung, soweit relevant für diese Arbeit, genauer beschäftigen, Kap. 3 mit der Thematik des Denkens. Von Kap. 4 an geht es dann um Begriffsbildung und Erkenntnis. Anschließend erfolgt in Kap. 5 eine qualitative Differenzierung des Begriffs in autorelationale, relative, individuelle und wirklichkeitsgemäße Begriffe.

Ausblick auf das Ergebnis dieses Buches:

Wahrheit, im Sinne einer wirklichkeitsgemäßen Qualität unserer Erkenntnisfähigkeit, hängt insbesondere von der wirklichkeitsgemäßen Qualität unserer Begriffe ab, mit denen wir umgehen und denken:

Das Potential der menschlichen Erkenntnisfähigkeit ist wirklichkeits-gemäße Erkenntnis mittels wirklichkeits-gemäßer Begriffe. Auf diese Weise erreichte bzw. gefundene wirklichkeitsgemäße Erkenntnis können wir dann Wahrheit nennen.

Wirklichkeitsgemäße Begriffe werden gewonnen durch jeweils wesens-gemäße Erfahrung der Phänomene, Dinge, Prozesse, Lebewesen, usw.    Das heißt, genauer formuliert:

Wirklichkeitsgemäße Begriffe werden gewonnen durch ein verstehendes Miterleben mit dem Wesen der Phänomene, Dinge, Prozesse, Lebewesen usw., die in der Welt sind. Dadurch wird uns ein wahrheitsgemäßes miterlebendes Verständnis der Phänomene, Dinge usw. möglich.

Dieses zentrale Ergebnis des Buches sei nun – sinngemäß identisch – noch in einer anderen Formulierung präsentiert, und zwar in einer konkreten Ausgestaltung bzw. Präzisierung der zuvor in Kap.1.1 und 1.3 erwähnten Formel zur Wahrheit von Thomas von Aquin (veritas est adaequatio intellectus et rei) :

Wahrheit (veritas) ist – vermittelt durch ein verstehendes Miterleben (adaequatio) – das miterlebende Verständnis unseres Geistes (intellectus) mit dem Sachverhalt beziehungsweise mit der Sache-selbst (res).  Dieses miterlebende Verständnis unseres Geistes (intellectus) kann in uns bestehen in Form von wirklichkeitsgemäßen Begriffen, die bezogen sind auf den Sachver­halt bzw. die Sache-selbst (res).  Unser Geist ist dazu fähig – mutmaßlich auf der Basis von sogenannten „Spiegelneuronen“, die wissenschaftlich erforscht werden. Dabei sind wirklichkeitsgemäße Begriffe nichts Abstraktes oder trocken-“Intellektuelles“; vielmehr bestehen sie in unserem Geist als ein sozusagen prozessual-lebendiges wirkliches Verständnis des Sachverhalts bzw. der Sache-selbst.

Dasselbe nun in einem Satz komprimiert:

Wahrheit (veritas) ist – vermittelt durch ein verstehendes Miterleben (adaequatio) – das miterlebende Verständnis unseres Geistes (intellectus) in Gestalt ‚lebendiger‘ wirklichkeitsgemäßer Begriffe, die dem Sachverhalt bzw. der Sache-selbst (res) entsprechen.

Es sei angemerkt: Um das zuvor gesagte wirklich zu verstehen, persönlich zu integrieren und auch konkret anzuwenden zu können, dafür muss das Buch natürlich gelesen werden.

Die Schlüsselbegriffe des Buches sind:

Begriff, Denken, Erkenntnis, Phänomenologische Methode, Verstehendes Miterleben, Wahrheit, Wahrnehmung, Wesen, Wirklichkeit.